Date: 5. November 2020
Time: 15.30
2. Welle
Die jetzige Situation unterscheidet sich definitiv von jener im Frühjahr. Die zweite Welle nimmt der Szene viel Energie, es braucht mehr Anstrengung motiviert zu bleiben, nachzudenken und auf die Umstände zu reagieren. Müdigkeit macht sich in der Musikwelt bemerkbar.
Kulturleben auf Sparflamme
In Zürich ist die Unsicherheit gross: es darf zwar noch veranstaltet werden, aber nur mit 50 Personen. Dies bringt die Veranstalter*innen in eine schwierige Situation: bringen wir die Menschen in Gefahr? Lohnt es sich finanziell? Letztendlich ist es auch eine Ressourcenfrage, sagt Nik. Die tägliche Arbeit hat sich radikal verändert.
Courant normal: non.
Die Öffnungen kamen nach der ersten Welle überraschend schnell, spontan wurde viel auf die Beine gestellt: Sommerspecials wurden kreiert, entsprechend musste auch die Förderung rasch reagieren, meint Andri. «Die Herbstplanung wurde aufgenommen, aber die normale tägliche Arbeit gibt’s nicht mehr», meint Nik.
Bei Pro Helvetia war die Frage natürlich, wie adäquat auf die Situation reagiert werden kann. Normalerweise fliessen rund 2/3 der Gelder in Projekte im Ausland (Tourneen, etc.), das gibt es zurzeit nicht mehr. Die Gesuchseingaben für Tourneen sind folglich eingebrochen. Für Tonträger- und Kompositionsbeiträge wurden dagegen deutlich mehr Gesuche verzeichnet. Pro Helvetia ist zudem stark in die kulturpolitischen Prozesse involviert und setzt sich für die Musikwelt entsprechend ein. Durch die Homeoffice Verordnung hat sich auch die Teamarbeit verändert. Nik hat das normale Gesuchswesen aufrechtgehalten. Die Anfragen haben sich jedoch verändert, und wichtig sind sie vor allem auch als Anlaufstelle, besonders von verzweifelten Musiker*innen. Sie handhaben die Richtlinien derzeit flexibel. Auch Adhoc-Beiträge werden gesprochen. Der Druck ist hoch und das Geld schnell weg.
Was fehlt?
«Das bedingungslose Grundeinkommen», sagt Nik sofort. Auch Andri ergänzt: «Eine Sozialkasse für Künstler*innen, sprich eine soziale Absicherung. Freischaffend ist kein offizieller Status in der Schweiz, im Gegensatz zu angestellt oder selbstständig.»
Bund und Kanton mussten eng zusammenarbeiten. Es ist ein guter Austausch, es sind gar Partnerschaften entstanden, von denen die Kulturszenen in Zukunft hoffentlich profitieren können. Musik musste eine Lobby aufrichten, die heterogenen Szenen zusammenführen, über die Kantone und über die Szenen hinaus.
Sport versus Kulturlobby
Sport hat einen ganz anderen Stellenwert, ist stringenter organisiert und hat eine homogene Lobby. Die Kulturszene sollte sich als Ganzes definieren, bisher hat jede einzelne Sparte eine eigene Lobby. Wir müssen versuchen, mit einer Stimme zu sprechen und uns ein stärkeres Gehör zu verschaffen!
Live-Konzert Ersatz?
Bis jetzt wurde noch kein Format gefunden, welches das Live Konzert ersetzt. Nik ist zuversichtlich, dass Formate gefunden werden. «Wir müssen lernen mit Scheitern umzugehen, Formate müssen ausprobiert werden.»
Aber es ist auch Müdigkeit gegenüber digitalen Formaten zu spüren. Gratiskonzerte wollen beide nicht unterstützen, dies war aber schon immer so.
Kraft des Lokalen
Das lokale Schaffen ist qualitativ an einem guten Punkt, um auch im internationalen Konzertbetrieb mitzuhalten. «Das Publikum für lokale Bands kann jetzt aufgebaut werden», sagt Nik. Auch Andri sieht diese positive Seite an der jetzigen Situation: der Fokus aufs Lokale bzw. auf Szenen anderer Sprachregionen der Schweiz zeigt, wie gut die lokale Szene aufgestellt ist. Das frühere Modell ist nicht erstrebenswert: zu kaputte Branche, von wenigen Menschen geprägt. Wir sollten die Energie dafür jetzt investieren, um diesen Diskurs anzustossen.
Auswirkungen COVID auf Gleichstellung und Nachhaltigkeit:
Keinen Effekt. Die Genderfrage ist immer zu berücksichtigen in Vergangenheit, in der Gegenwart und auch in Zukunft. Für Nik ist ein grosses Thema künftig: Menschen mit Migrations- oder Fluchtbiografie zu berücksichtigen. Dies soll auch im Leitbild aufgeführt werden. Auf die ökologische Nachhaltigkeit hat COVID dafür vielleicht eine Auswirkung: Notgedrungen wurde kaum mehr weit gereist; vielleicht stellt sich in Zukunft die Frage etwas dringlicher, welche Übersee-Tourneen überhaupt Sinn machen.
Wünsche
Mehr solche Formate wie Téléphoner, aber in echt.
Wieder mehr live sehen, treffen und austauschen. Wir nehmen uns nicht genügend Zeit, um vertieft zu diskutieren. Dies ist nun eine Chance.
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