Date: 22. September 2020
Time: 10.10
Zwischenbilanz
Theresa Beyer hat vor 9 Monaten ein Kind bekommen und verbringt ihre Babypause in Frankfurt. Sie steht kurz davor wieder bei Radio SRF 2 Kultur in Basel einzusteigen. Es ist spannend für sie zu beobachten, wie unterschiedlich Deutschland und die Schweiz mit Vereinbarkeitsfragen von Beruf vs. Familie umgehen.. Sie ist froh, dass ihr Partner, der in Frankfurt arbeitet, sechs Monate Elternzeit nehmen kann. Aber sie ist verwundert, dass er damit zu einer Minderheit gehört - im Durchschnitt beziehen in Deutschland Väter nur 3,7 Monate Elternzeit, Mütter über 13 Monate. Der rechtliche Rahmen allein sorgt also noch nicht für Gleichberechtigung. Seltsamerweise hat Theresa trotz Abwesenheitsnotiz und trotz Corona als Musikjournalistin so viele Anfragen wie noch nie erhalten: für Artikel, Moderationen von Panels, Gastvorlesungen oder Jurytätigkeiten. Obwohl sich die Musikszene und der Musikjournalismus in einer Krise befinden, scheint das Bedürfnis nach Diskurs also nicht abzunehmen.
Albane Schlechten kommt gerade frisch aus einem intensiven Label Suisse Festivalwochenende in Lausanne. Die Situation war alles andere als einfach: innert wenigen Stunden mussten sie entscheiden, ob das Festival trotz verschärften Massnahmen im Kanton Waadt durchgeführt wird oder nicht. Es hat besonders viel Energie gebraucht zu verstehen, was die Veränderungen genau bedeuten. Aber die «magic musique» war trotzdem da. Es hat einfach sehr viel Nerven und Energie gekostet. Auch mit der FCMA haben sie in den letzten Monaten viele Sachen angepasst, um Änderungen und Anpassungen anzubringen. Aber es ist noch lange nicht fertig. Zu diesem Zeitpunkt fällt es schwer Distanz zu nehmen und eine Zwischenbilanz zu ziehen. Es gab viel Solidarität, was sehr schön war, aber es ist schwierig die Energie zu konzentrieren und sich auf etwas zu fokussieren.
Alte Rollenbilder – Wir müssen sichtbar sein!
Überall wo wir hinschauen sind nur Männer: vom Krisenmanager, zum Nachrichtensprecher, zum Vorsteher irgendwelcher Gremien. Besteht die Gefahr, dass wir in der Krise in alte Rollenbilder fallen? Das Thema Diversität kam in den letzten Jahren hauptsächlich aus der freien Szene, die mit viel freiwilliger Arbeit für viel Aufruhr und Aufbrüche gesorgt hat. Oft werden erst später solche Themen von Institutionen übernommen, die dann damit strahlen. Wie bei vielen solcher Schwerpunkte besteht oft die Gefahr, dass es zu einer Mode-Erscheinung wird: «Im Gegensatz zur freien Szene haben die Institutionen momentan die Ressourcen Diversity-Themen aufzugreifen, hoffentlich ist ihr Interesse ernst und nachhaltig und nicht nur ein cooler Zeitgeist-Move», meint Theresa. «Plötzlich hat die Krise Überhand genommen und andere Initiativen wurden weniger wichtig», ergänzt Albane. Das Thema Diversity ist in diesem Troubel untergegangen, aber jetzt müssen wir schauen, dass wir unsere Prioritäten nicht aus den Augen verlieren.
Theresa Beyer ist seit 10 Jahren beim Musikrecherchenetzwerk Norient dabei, was seit seiner Gründung im Jahr 2002 mit multiperspektivischen und multilokalen Ansätzen arbeitet. So ist es auch beim neuen Norient Space selbstverständlich, dass die Denker*innen, Autor*innen und Musiker*innen, die ihn inhaltlich mitgestalten, eine komplett diverse Runde sind - ganz im Gegensatz zum stark männlich dominierten (Pop)musikjournalismus. Es gibt so viele Expertinnen – es muss einfach hingeschaut werden!
Mit der neuen Music Directory sollte das hoffentlich einfacher werden. Es braucht Sichtbarkeit und Empowerment und dabei können wir uns gegenseitig stärken.
Schweizer und Internationale Künstler*innen
Die Musikszene lebt vom transnationalen Austausch und den hat die Krise auf Eis gelegt. Theresa Beyer war in der letzten Zeit mit verschiedenen Musiker*innen rund um den Globus in Kontakt. Einige haben dabei an die europäische Verantwortung appelliert: Musiker*innen aus dem globalen Süden sollten jetzt nicht hängengelassen werden und genauso Zugang zu europäischen Kulturfördertöpfen bekommen, sagt zum Beispiel die indische Geigerin Jyotsna Srikanth. Aber auch in der Schweiz sollten sich Veranstalter*innen trotz Reisebeschränkungen fragen: Wie bringen wir die postmigrantische Realität auf die Bühne? Wie kann die lokale Musikszene diverser werden, ohne vermeintlich «exotische» Musikerinnen und Musiker aus der Ferne einzufliegen?
Was wünscht ihr euch?
Theresa: «Wir sollten aufpassen, dass wir nicht vor lauter Demut vor der grossen Krise plötzlich beginnen kleine Brötchen zu backen. Wir müssen unseren Visionen und Idealen treu bleiben.
Und einen Gedanken will Theresa noch loswerden. Sie ist in einer Musikerfamilie aufgewachsen und war als Kind bei vielen Proben und Konzerten ihrer Eltern dabei. «Das hat mich bereichert». In ihrem Berufsleben ist es ihr aber noch nie passiert, dass irgendwer seine Kinder bei einem Auftritt oder einem Interview dabei hatte: «In unseren Köpfen ist eine Vorstellung von Professionalität verankert, in der die Sphären Familie und Beruf strikt voneinander getrennt zu sein haben. Vielleicht heisst Gleichstellung heute auch, an dieser Vorstellung zu rütteln und dazu zu stehen, dass Vereinbarkeit nun mal eine Herausforderung ist. Liess es sich nicht anders organisieren? Ist die Kita zu? Dann nehmt eure Kinder eben mit!»
Albane: Wir gehen nicht zurück zur Normalität, darum ist es wichtig, dass wir nicht alle in unserem eigenen „Business“ bleiben, sondern Kollaborationen suchen und uns gegenseitig unterstützten. Wir müssen auf dieselben Sachen achten, wie vor der Krise und dazu gehört auch das Thema Diversität. Es gibt vieles, das Energie benötigt, aber das muss selbstverständlich sein.
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